Smart Homes – Traum oder Alptraum des Homo Ludens?

Smart Home-Anwendungen finden immer häufiger ihren Platz in den Haushältern der Menschen, aber unterstützen uns interaktive Systeme wie Alexa und Co wirklich?
Juli 2020

Smart Homes – Traum oder Alptraum des Homo Ludens?

Smart Home-Anwendungen finden immer häufiger ihren Platz in den Haushältern der Menschen, aber unterstützen uns interaktive Systeme wie Alexa und Co wirklich?

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Stellen Sie sich vor: Es ist Nacht. Sie gehen durch den Flur ins stockdunkle Wohnzimmer. Drücken auf den Lichtschalter. Mist. Reagiert nicht. Immer noch dunkel. Sie drücken wieder. Schwärzeste Nacht. Da fällt Ihnen ein: »Pfft, wir haben ja Smart Lamps mit Voice Control installiert!« Also genervt der Befehl in die Dunkelheit: »Google – mach das Licht an!«. Weiter dunkel. Fluchen. »Ok Google! mach das Licht an!« Das Wohnzimmer leuchtet in den Farben von »Chinatown«. Gestern war es »Tropendämmerung«, und vorgestern »Eisiger See«. Wer braucht denn bitte so was?

Immer mehr Deutsche wollen smart wohnen

Immer mehr Deutsche – wenn man den Zahlen des Digitalverbands Bitkom glaubt, der unter 1.006 Bundesbürgern ab 16 Jahren eine Umfrage zu Smart-Home-Anwendungen in Auftrag gegeben hat. 3 von 10 Bundesbürgern (31 Prozent) haben im Jahr 2019 in ihrem Zuhause mindestens eine Smart-Home-Anwendung installiert; 2018 gab erst jeder vierte Bundesbürger an, mindestens eine Smart-Home-Anwendung zu besitzen. Intelligente Lampen – wie die Chinatown-Stimmung – sind dabei mit 18 Prozent am beliebtesten, gefolgt von smarten Heizkörperthermostaten (14 Prozent); 14 Prozent der Befragten haben eine intelligente Alarmanlage und 12 Prozent ein intelligentes System zur Videoüberwachung.

Nerv oder Spaß?

Mit Smart Houses ist es wie mit GPS im Auto oder einschüchternd klugen Waschmaschinen, die solange piepen bis ihre Benutzer sie wütend anbrüllen: Sie können nerven, das Leben komplizierter und den Menschen mit seiner eingebauten Feinmotorik und Denkfähigkeit bräsig machen. Aber: sie können auch ein großer Spielspaß sein. Und echte Rettung. Und zwar persönlich und global. Zwischen gefürchteter Verblödung und erhoffter finaler Weltauferstehung wabert ein unendliches Universum an gefühlter Unsicherheit.

Was macht der Homo ludens im Smart home?

Klar, dem geborenen Homo Ludens gefällt das immer neue Ausreizen der Grenzen mit den interaktiven smarten Freunden im Haus: Wenn wir mit Sprachassistenten wie Alexa Diskussionen führen, die irgendwann zu einer Art absurden Theaterstück werden – und man merkt, dass die Maschine beruhigenderweise Maschine bleibt. Weil sie längst nicht so sprühend witzig und fantasievoll ist wie die beste Freundin, die nachher zum Abendessen kommt und über das japanische Schönheitskonzept Wabi-Sabi und Kintsugi-Keramiken redet. Dafür schaut der mit dem Smart House spielende Mensch zu gerne, ob es eine neue App-Variante gibt, um das siebenundfünfzigstes Mal neue Lichtinszenierungen von Smart Lamps über der Badewanne ausprobieren, die zur Farbe der Design-Schaumflasche passen. Oder lässt den Rasenmäher-Roboter in 300 Kilometer Entfernung noch einmal um die Terrasse fahren, damit er die Gräser passend zum eigenen neuen Bart im Gesicht kürzt.

Vom Bett in die Tiefen des digitalen Alls

Das Spiel zwischen Mensch und Maschine, Körper und Haus ist im Zeitalter der Digitalisierung so unendlich geworden wie ein Flug in die Tiefen des Alls, dessen Ausdehnung man auch nach dem dritten Science Film im Planetarium nicht begreift. Im Smart-Home-Spiel liegen bei jeder neuen App kindliche Aufregung ob all der wunderbaren neuen Disziplinen und die Angst vor Orientierungslosigkeit ohnmächtig zu werden, nahe beieinander. Denn mit den Smart-Home-Technologien bricht eine unsichtbare Macht in den Kokoon, in dem wir auch nackt und schutzlos sind. Und dies sein dürfen. Wir teilen durch die Installation dieser Technologien auf einmal den ureigensten Raum, der unsere Spuren trägt, mit nicht-menschlichen Instanzen, die für manche die neuen Hausgötter sein mögen. Für andere der Teufel, den man leider nicht am Schwanz fassen kann.

Digitale Transformation im Puschenleben

Das Teilen des Hauses mit einer neuen Instanz, deren Baumuster und Anlage die meisten Nutzer nicht bis ins letzte Glied verstehen, ist kulturhistorisch gesehen eine größere Revolution, als viele fröhliche Smart-Lamp-Installierer merken. Nach den vielen tausend Jahren, in denen der Mensch sesshaft wurde, Ackerzucht betrieb und jeden Tag in dieselben vier Wänden zurückkam, ist die digitale Transformation im Puschenleben ein noch größerer Einschnitt als das Aufkommen von Strom und elektrischem Licht. Auch wenn die meisten von uns nicht mehr Ackerzucht betreiben, sondern Dienstleister sind, müssen wir uns an noch eine zusätzliche Antenne an unserem Kopf gewöhnen: Mensch kommuniziert nicht mehr nur mit Mensch. Sondern Mensch kommuniziert mit Haus. Haus kommuniziert mit Mensch. Haus kommuniziert mit sich selbst. Unser Verhaltensmuster, unser Ich wird archiviert, aufgeschrieben, von nicht-menschlichen Biographen. Früher trug die Hausfrau die Schlüssel zu Haus und kostbaren Vorräten am Gürtel, sie waren Ausweis ihrer gesellschaftlichen Stellung und ökonomischen Macht. Im Smart Home mit seinen Passwortverschlüsselungen übergeben die Bewohner Algorithmen einen großen Teil ihrer Handlungshoheit, freiwillig. Am Gürtel baumelt nichts mehr. Schön leicht, finde manche. Ganz schön unheimlich, sagen andere.

Wenn wir das Gefühl haben, die Technik zu beherrschen, ansatzweise zu durchschauen, sie uns untertan zu machen, wenn sie keine gefühlte Gefahr für uns ist, dann darf sie gerne bleiben. Auch im Haus, sogar unter der Bettdecke. Sie wird eine schlaue Freundin, die wir zwar nicht wirklich verstehen, aber die überaus praktisch ist. Problematisch wird es nur, wenn wir das Gefühl haben, dass die von uns letztlich unverstandene Technik unser Leben beherrscht, in einer Umgebung, in der wir alle Hüllen fallen lassen nach den Kämpfen des Tages.

Schadet das Smart Home dem seelischen Gleichgewicht?

Wenn sich nun unsere schützende Trutzburg durch smarte Elemente unsichtbar, aber doch vollkommen verändert, dann modifiziert das nicht nur die technischen Abläufe des Alltags, sondern auch unser inneres Universum. Und der Smart-Home-spielende Mensch muss sich neu strukturieren, um nicht das in den letzten zehn Jahren mit Achtsamkeitsübungen eingependelte Gleichgewicht neu zu verlieren. Die Apps unseren Smarten Hauses können einen neuen faszinierenden Sog entfalten, in den wir uns gerne werfen. Die Meldung: »Ihre Bildschirmzeit betrug diese Woche 8 Stunden und 23 Minuten« wird gerne schnell weggedrückt wie der Bauch unter dem Gürtel. Gibt ja Yoga-Apps und Meditationsmusik im Flur, wenn der Blutdruck steigt. Alle Menschen, die Kinder haben, kennen die Kämpfe um Bildschirmzeit. Nur leider verlieren wir oft diesen Kampf mit uns selber.

Jedem sechsten Deutschen ist der Nutzen von Smart Homes noch ziemlich unklar

Nicht alle App-Interessierten sind seelisch so hochsensibel, dass sie stundenlang über irritierende Mensch-Maschinen-Probleme nachdenken. Bei allen Smart-Home-Solutions für potentielle Nutzer sind vielmehr der hohe Preis, komplizierte Bedienung und das Gefühl, die Privatsphäre zu gefährden, die größten Kritikpunkte. Dazu ist jedem sechsten Deutschen der Nutzen von Smart Home noch ziemlich unklar, so die Angabe von Branchenverband Bitcom.

Smarter Klimaschutz mit dem Haus

Wo wir als Homo Oeconomicus, als Nutzenmaximierer, bei Smart-Home-Technologien aber wirklich gewinnen können, sind zwei Bereiche, vor denen viele Menschen echte Angst haben. In denen sie nicht-rational handeln. Die sie gerne verdrängen, sie aber subkutan doch bei allen mehr oder weniger für Seelenpein sorgt: Unabhängigkeit im eigenen Alter. Und verantwortungsvolle Energienutzung in Zeiten des Klimawandels.

AMBIENT ASSISTED LIVING

Klar, alle Umfragen zeigen, dass sich die meisten Senioren wünschen, bis zu ihrem Lebensende möglichst in den eigenen vier Wänden leben zu können. Doch laut Bundesministerium für Bildung und Forschung – das sich in Deutschland politisch federführend für das Thema engagiert – gibt es kaum erfolgreiche Beispiele für den Einsatz neuer Technologien zur Steigerung der Lebensqualität älterer Menschen. Dabei sind die Technologien bereits vorhanden und könnten relativ einfach angewendet werden. Grund für die mangelnde Durchsetzung sind laut Ministerium, dass die Produkte zu kompliziert bei Nutzung und Installation sind. Anwender scheuten die Auseinandersetzung mit dem Neuen und Unbekannten. Hallo neue unsichtbare Hausgötter, siehe oben.

Der beliebteste neue Hausgott im Smart Home schützt vor dem Tod

Viele Senioren- und Pflegehaushalte, die die oft hohen Ausgaben scheuen, wissen nicht, dass die Pflegekassen das Wohnumfeld verbessernde Maßnahmen finanzieren, und das bis zu 4000 Euro als Zuschuss. Das positivste Beispiel für ein erfolgreiches Notfallsystem ist bisher der Hausnotruf über einen Sender mit Notrufknopf. Außerdem können Sensoren helfen, die melden, wenn ein Bewohner gefallen ist. Eine intelligente Haustechnik sorgt dafür, dass die Hausgeräte beim Verlassen des Hauses sich selber ausschalten, Rauch, Feuer, Gas und Wasser melden. Dazu gibt es Dinge wie Lebenszeichenrückmeldung, schlüssellose Türöffnung und personalisiertes Gesundheitsmanagment durch erfasste Verhaltensmuster. Smarte Staubsauger und Rasenmäher übernehmen dazu mühsame Hausarbeit. Intelligente Luftreiniger helfen bei chronischen Krankheiten wie Asthma und Allergien, indem sie punktgenau und 24 Stunden lang die Atemluft so rein halten, dass Atembeschwerden radikal abnehmen und weniger Medikamente eingenommen werden müssen. Der Status der Luftreinheit: abzulesen auf dem Smartphone oder Tablet. Verbunden mit Angeboten der Telemedizin, gerade in ländlichen Gebieten, können Smart Homes einer neue Generation eine Art Golden Age Cocooning ermöglichen.

Umfragen der FH Dortmund aus dem Jahr 2018 belegen, dass Senioren durchaus offen für solche Technologien sind, 85 Prozent aber großen Wert auf Datensicherheit legen und wissen möchten, was mit ihrem digitalen Fußabdruck passiert. Auf der anderen Seite: 44 Prozent wären aber bereit, ihre Daten anonymisiert an Unternehmen weiter zu geben, wenn die Nutzung der Geräte dadurch billiger würde.

Digitale Spuren aus der Privatsphäre

Der finale Alptraum, der vor allem digital non-natives haben: das Haus übernimmt das Leben. Und erzählt anderen intime Details über uns. Will ich, dass in einer Cloud mein Biorhythmus gespeichert ist durch die Infos meiner Licht- und Warmwasserverwendung? Bisher waren Objekte und Subjekte, die unsere heiligen Hallen mit uns teilten, einschätzbar: Kaschmirdecke, Teekessel, Hund und Klavier. Aber die neue App, die meine Haustechnik regelt und die Verbrauchszeiten speichert? Will ich mich der Hegemonie des technischen Fortschritts unterwerfen? Ist es nicht schöner, die Fenster selber aufzumachen, wenn mir der Sinn danach steht, als alles über Klimasysteme zu steuern? Und wie kann man im Wirrwarr der Angebote einigermaßen sicher sein, dass die erhobenen Daten geschützt werden? Dazu gehört die Auslieferung von Geräten mit individuellen Passwörtern, die Gewährleistung schneller Sicherheits-Updates bei Hacker-Angriffen oder die Verschlüsselung personenbezogener Daten, rät der Branchenverband Bitcom.

Smart gegen den Klimawandel

Eine Schlüsselfunktion können Smart-Home-Solutions auch bei der Bekämpfung des Klimawandels haben – vorausgesetzt eine Vielzahl von Häusern wird mit moderner Heiz- und Dämmtechnik ausgestattet, die hochsensibel arbeitet. Denn erst langsam wird vielen Menschen bewusst: Mehr als ein Drittel der Kohlendioxid-Emissionen deutscher Haushalte entsteht durch das Leben in der eigenen Wohnung, also vor allem durch Heizung und Warmwasser. Autofahren, Fliegen, Fleischkonsum – all das verpestet die Umwelt weniger als das so selbstverständliche Wohnen. Wenn es nach dem Klimaschutzplan der Bundesregierung geht, sollen die Wohnungs-Emissionen der Deutschen bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts gegen Null sinken. Insgesamt soll Deutschland generell bis zum Jahr 2030 circa 55 Prozent Kohlendioxid-Emissionen im Vergleich zum Jahr 1990 einsparen. Abgesehen davon, dass zur Zeit nur ein sehr geringer Anteil der rund 19 Millionen deutschen Wohnhäuser klimaneutral arbeitet, da die meisten mit alten Öl- und Erdgasheizungen ausgestattet und schlecht wärmegedämmt sind, nutzen erst 7 Prozent der für die eingangs zitierten Bitcom-Untersuchung Befragten intelligente Verbrauchszähler für Strom, Gas und Wasser. 10 Prozent steuern den Verbrauch über WLAN- oder Funk-Steckdosen. Das Smartphone ist dabei wie beim Online-Banking die beliebteste Schaltzentrale: 80 Prozent der Smart-Home-Besitzer bedienen ihre Haus-Apps damit, eine Steigerung zum Vorjahr von 4 Prozent. Immer beliebter wird die Steuerung durch Sprachassistenten: 44 Prozent bedienen Smart-Home-Systeme mit Amazon Echo, Apple HomePod und anderen Helfern. 35 Prozent der Smart-Home-Besitzer nutzen eine Fernbedienung und 11 Prozent eine Smartwatch.

Das Haus als Klimaretter

 
Ob die künftig in deutschen Haushalten so selbstverständlich sein werden, wie Strom, Licht und fließendes Wasser, wie Bitkom Präsident Achim Berg überzeugt ist, muss die Zukunft zeigen. Klar ist aber, dass Kabel in den Häusern immer weniger werden, da per Funk oder Powerline Daten übertragen werden, Clouddienste und über Internet-Protokolle verbundene Geräte einfacher vernetzen. Dabei geht es für Hersteller und Verkäufer um enorme Summen: In der Wohnungswirtschaft in Deutschland sind allein bis 2030 jährlich Investitionen von 41 Milliarden Euro für den Klimaschutz beim Wohnen notwendig. Und auch durch Smart Homes wird sich entscheiden, ob die Klimaziele der Bundesregierung erreicht werden. Ob das Licht im neuen digitalen Haus dann an Tropendämmerung oder einen eisigen See erinnert, ist dem fröhlich spielenden Homo Ludens überlassen.

Über Stefanie von Wietersheim.

Die Kulturjournalistin Stefanie von Wietersheim liebt ihr analoges Leben in Paris und Niedersachsen – mit Papierbüchern, Designstreichhölzern, Blumenstecken und dem Schreiben von echten Briefen. Ab und zu ist sie als leidenschaftlicher iPhone-Junkie wegen Sehnenscheidenentzündung allerdings arbeitsunfähig, da sie Social Media für die beste Erfindung des Jahrhunderts hält. Über ihre wöchentliche Bildschirmzeit schweigt sie beharrlich. Die heute 49-Jährige studierte in Passau und Tours »Sprachen, Wirtschafts- und Kulturraumstudien«. Nach ihrem Zeitungsvolontariat  bei der »Passauer Neuen Presse« arbeitete sie für Tageszeitungen, Filmproduktion und Hochglanzmagazine. Ihre Bildbände »Frauen & ihre Refugien«, »Vom Glück mit Büchern zu leben«, und »Mütter & Töchter« (Callwey-Verlag) wurden zu Bestsellern ihres Genres. In ihrem Buch »Grand Paris – Savoir-vivre für Insider und solche, die es werden wollen« schreibt sie über ihre Wahlheimat Frankreich. Stefanie von Wietersheim geht als Autorin der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« regelmäßig auf Reportage und schreibt die FAS-Kolumne »Der Wohn-Knigge«. Mit dem in Passau lehrenden Professor Christoph Barmeyer veröffentlichte sie das Buch »Business Know-How Frankreich« (Redline Verlag). Wenn sie nicht gerade schreibt oder chattet, singt sie oder dirigiert ihren Kammerchor. 

 

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