Weniger machen mehr fühlen?

Was der Wandel zur Emotionsgesellschaft für die Wirtschaft bedeutet.
Oktober 2020

Weniger machen mehr fühlen?

Was der Wandel zur Emotionsgesellschaft für die Wirtschaft bedeutet.

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WENIGER MACHEN MEHR FÜHLEN?

»Guten Abend, meine Damen und Herren. Die Nachrichten.« In der Vergangenheit wie in der Gegenwart, bei dieser Ansage erwartet das menschliche Unterbewusstsein vor allem eines: objektive Informationen. Diese Objektivität wurde vor allem in Bezug auf den Journalismus und die Medien gemeinhin als das Gegenteil einer emotionalen Kommunikation verstanden. Doch in den letzten Jahren etabliert sich in der Gesellschaft das Verlangen nach einer emotionaleren Ansprache. Diese Entwicklung allein dem Aufkommen von Reality Shows und personalisierter Werbung zuzuschreiben, würde ihre Komplexität primitivisieren. Doch möglicherweise geht es genau darum. Inhalte aller Art, ob sie informierend oder werbend wirken sollen, müssen mittlerweile die Essenz des menschlichen Daseins ansprechen und ins Herz treffen.

 

Wer genauer hinsieht, erkennt: Die Gesellschaft hat die Transformation von der Leistungs- zur Emotionsgesellschaft schon weitgehend vollzogen. Nachrichten wie das Interview, in dem Per Mertesacker seine Angstattacken gestand, die Freudentränen von Jürgen Klopp oder die Wuttränen in den Augen des selbst ernannten Weltraum-Revolutionärs Elon Musk beim »60 Minutes«-Interview haben uns gezeigt: Das Gefühl ist kein Tabu mehr. Doch wie drückt sich dieser Paradigmenwechsel im Alltag aus? Und was bedeuten die Veränderungen für die Gesellschaft – und damit auch die Wirtschaft – konkret?

EMOTIONEN: UNTERSCHÄTZT UND FEHLINTERPRETIERT?

Emotionen sorgen dafür, dass Menschen handeln. In einer digitalen Gesellschaft heißt das: Sie binden sich an ein Unternehmen, eine Sache oder einen Lebensstil. So entstehen Milliarden einzelner Leben im Pippi-Langstrumpf-Prinzip – der Mensch schafft sich seine eigene Welt, wie sie ihm gefällt. Eine wunderbare und unabwendbare Entwicklung, wenn man bedenkt, dass der Mensch als fühlendes Wesen selbst bei der neutralsten Information oder Präsentation nicht umhinkommt, seine eigenen Erfahrungswerte und Ansichten als Maßstäbe und Entscheidungsgeber ins Feld zu führen. Emotionales Engagement ist also die mächtigste Form der Interaktion in Politik, Medien und Wirtschaft. Noch kratzen die meisten Akteure in diesen Bereichen nur an der Oberfläche der Möglichkeiten und Notwendigkeiten. Die menschlichen Gefühlswelten scheinen für jene, die eine gezielte Ansprache ihrer Wunschkunden oder – Kommunikationspartner suchen, noch immer ein abstraktes Bild zu sein. Polarisierende Aussagen, unbeholfener Humor oder unausgegorene mediale Konzepte bilden diesen Status immer wieder auf schier schmerzhafte Weise ab. 

Das Schlüsselbewusstsein liegt in der Erkenntnis, dass emotionale Erfahrungen das Fundament menschlicher Zufriedenheit bilden. Diese Klarheit wurde noch Ende der 1980er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts nicht einmal ansatzweise erreicht. Selbst anerkannte Wirtschaftswissenschaftler wie Jack Hirshleifer konzentrierten sich in ihren Untersuchungen nur auf die Emotion als Mittel zur Bindung eines Menschen an ein Unternehmen, und zwar nach erfolgreicher Akquise. Diese Herangehensweise spiegelt einerseits die Auffassung wieder, dass die Kontaktaufnahme jedweder Form, und damit auch sämtliche Werbemaßnahmen, rein auf der sachlichen Ebene abzulaufen hatte. Informationen waren der Köder, Emotionen ein Tool, um Menschen bei Laune zu halten. Andererseits kann in dieser Haltung auch die Wurzel der explosionsartigen Hauruck-Aktionen in Werbung, Wirtschaft und Politik in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren gefunden werden, die in ihrer Emotionalität kaum noch Platz für echte Informationswerte ließen. Zeit für Zukunftsmusik: Wer auch immer sich also an die Gesellschaft en gros und das Individuum en détail richtet, sollte seine Hausaufgaben gemacht haben. Wie organisiert der Mensch sein Leben heute? Was ruft Zufriedenheit hervor? Wie kommuniziert man auf emotionaler Ebene, ohne zu stark ins manipulative Verhalten abzudriften?

GOODBYE, LEISTUNGSGESELLSCHAFT.

Wer begreifen will, wohin ein Weg führt, muss wissen, woher er kommt. Seit David McClelland 1961 den Begriff der Leistungsgesellschaft prägte (engl.: »achievement society«), entfesselte sich diese Sozialstruktur als tonangebendes Gesellschaftsmodell der westlichen Welt. Die Prämisse: Wer viel leistet, gilt viel. Und: Jeder bekommt, was er verdient. Noch immer streiten sich die Geister, ob dabei eine Leistungsmessung und überhaupt möglich ist. Und auch die Grundsatzfrage wird bei diesem Begriff nach wie vor bemüht. So untersucht Wirtschaftswissenschaftler William B. Gartner in »Re-imagining ‚The Achieving Society‘«ob »die ‚Notwendigkeit einer Leistung‘ ein Akt der Fantasie ist.« Doch Wissenschaft und Politik sind nur die eine Seite. Wo drückte sich die Leistungsgesellschaft im bürgerlichen Alltag aus? Die Antwort findet sich in den Lebensrealitäten der aktuellen Eltern- und Großelterngenerationen. Vom Vorort- Häuschen mit gepflegter Rasenfläche bis hin zur akribisch erhaltenen Modelleisenbahn: Die Statussymbole der Leistungsgesellschaft sind gleichzeitig auch Mahnmale einer Vergangenheit, in der das Individuum nur wenig Wahlmöglichkeiten hatte – oder nutzte – und seine Gefühlswelten mit Besitz und Status in Einklang zum Ausdruck musste. Undenkbar, die Möglichkeit einer emotionaleren und damit vielleicht auch authentischeren Lebensweise überhaupt zu erhoffen.

Als das Aufkommen des Informationszeitalters mächtig Staub aufwirbelte, schien auch ein emotionaler Befreiungsschlag in der Leistungsgesellschaft um sich zu greifen. Wo sich Gefühle und die mit ihnen einhergehenden Wünsche und Bedürfnisse meist auf den Feierabend oder das Fernsehprogramm am Wochenende beschränkt hatten, wurde der Ruf nach mehr Individualität im Lebensalltag laut. In den 2000er-Jahren wollte Max Mustermann dabei vor allem mehr von der Karotte namens »Work-Life-Balance«, die man ihm in den Medien vielbesprochen vor die Nase hielt. Heute ist davon »nur« noch der Wunsch nach mehr übrig: Mehr Leben, mehr Freiheit, mehr Individualität. Den Emotionen kommt dabei eine tragende Rolle zu.

MEIN FREUND, DER UNBEKANNTE: DIE EMOTIONSGESELLSCHAFT VERSTEHEN.

Stellen Sie sich vor, sie könnten einen ganzen Tag lang kommunizieren und dabei völlig verstanden werden, ohne auch nur ein Wort sprechen oder schreiben zu müssen. Was wie die Anmoderation einer neuen technologischen Errungenschaft klingt, ist auf den Smartphone-Bildschirmen der Welt längst Gewohnheit: Die Verwendung von Emojis. Bequemlichkeit und ein gewisser Unterhaltungsfaktor beim Einsatz der vielseitigen Smiley-Nachfolger sind positive Nebeneffekte, die der Hauptmotivation den Boden bereiten. Emojis schaffen es nämlich, jeder digitalen zwischenmenschlichen Interaktion einen emotionalen Ton zu verleihen. Und auch wenn Kritiker dabei ein Potenzial für die Täuschung und Manipulation untereinander sehen, ist es genau diese Nahbarkeit, die der Mensch der Zukunft als seinen Lebensalltag verstehen möchte.

Bleiben wir einen Moment lang beim Smartphone als Beispiel für die erfüllten Erwartungen eines emotionalen Menschen des 21. Jahrhunderts. Geht man davon aus, dass die fühlende Person das Zentrum aller wirtschaftlichen Aktionen ist, so bestimmen nicht allein klassische Ansprüche an ein Produkt, wie Qualität, Funktionsweise, Preis und Status die Wahl einer Ware oder eines Service. Alles steht und fällt mit der emotionalen Komponente. Das Smartphone könnte lediglich ein Telefon sein, ein Gebrauchsgegenstand – oder der emotionale Schnittpunkt mit allen und allem, was dem Konsumenten wichtig, lieb und teuer ist. Deshalb ist auch die Frage nach der Notwendigkeit emotionaler Werbung hinfällig. Unleugbar hätte es für ein Unternehmen fatale Auswirkungen, wenn es auf den eigenen Websites und in Marketing Maßnahmen nicht widerspiegelt, dass es weiß, wo es die eigene Zielgruppe erreicht – nämlich mitten in deren Leben. Und das bedeutet oft, in deren Bett kurz vor dem Einschlafen. Näher geht nicht. Die allgemeine Ansprache zielt also nicht länger auf eine gesellschaftliche Masse an, sie richtet sich an die Einzelperson mit allen Begleiterscheinung ihrer tagesaktuellen Gemütslage.

Künftig wird nicht mehr voneinander zu trennen sein, ob ein Produkt oder eine Dienstleistung einen emotionalen oder sachlichen Wert hat. Die Grenzen zwischen diesen Maßstäben wurden mit einem lässigen Swipe weggewischt. Das zeigt sich auch in der nahbaren Ansprache, die sich mittlerweile durchgesetzt hat. Galt es vor ein paar noch als geradezu kühn, dass ein schwedisches Möbelhaus seine Kunden ungefragt duzte, ist die freundschaftliche Kommunikationsebene mittlerweile für viele Verbraucher die gewünschte Basis, um Geschäfte zu tätigen oder Probleme zu lösen. So wird der Unbekannte zum Freund, selbst bei flüchtigen Interaktionen. Das Ergebnis: eine aufrichtige Verbindung.

EMOTIONALER DRUCK VS. INDIVIDUALITÄT: DIE GANZE KLAVIATUR.

Eine Frage bleibt zur Klärung offen: Ist die Entwicklung von der Leistungs- zur Emotionsgesellschaft als gut oder schlecht zu bewerten? Schaut man sich die erste Folge der Erfolgsserie »Black Mirror« an, ahnt man, dass eine emotionalere Gesellschaft auch das Risiko neuer Gruppendynamiken mitbringen könnte. In dieser Episode wird eine Zukunft abgebildet, in der man nicht allein Produkte, Geschäfte und Dienstleistungen bewertet. Auch Menschen erhalten ein lebensnotwendiges Feedback in Form von Bewertungssternen. Als das Leben der Protagonistin unerwartete Wendungen nimmt und ihre Reaktionen eben durchweg und unkontrolliert emotional ausfallen, sinkt ihre Bewertungsrate und ihr Leben wird sinnentleert. Hier zeigt sich: Beschränken wir uns in einer Emotionsgesellschaft nur auf die positiven Aspekte menschlicher Gefühlswelten, könnte eine neue Leistungsgesellschaft entstehen. Dann gesellt sich zu der wohl noch länger ausklingenden Auffassung, dass nur wertvoll ist, wer etwas erreicht, der Zwang, permanent freundlich, offen, kompatibel und hilfsbereit zu sein. Ein gefährlicher Positivismus. Nichts könnte weiter von der Authentizität entfernt, die sich die Verbraucher wünschen.

Sensibilität und das Erkennen neuer Herangehensweisen sind das Gegenmittel. Hier stehen sowohl Gesellschaft als auch Wirtschaft erst am Anfang. Mit dem Aufkommen emotionaler Intelligenz und den damit verbundenen digitalen Strategien wird es in den kommenden Jahren überhaupt erst umfassend möglich, den Menschen dort abzuholen, wo sein Herz schlägt. Forschung und Entwicklung arbeiten auf Hochtouren, um die technischen Aspekte auf einer emotionalen Ebene nutzbar zu machen.

Für Unternehmen heißt das also, den Mut zu finden, die ganze Klaviatur spielen zu wollen. Meist ist der erste Schritt, die bloße Absicht dafür zuzulassen. Wer in Zukunft seiner Zielgruppe erfolgreich begegnen will, braucht ein gewisses Bewusstsein für die Lebensrealität dieser Personen. Das fällt leichter, sobald wir die Denkrichtung umlenken und erkennen: Die Wirtschaft ist grundsätzlich und seit jeher eine emotionale Struktur. Wir sind nur meisterhaft darin geworden, die Gefühle auszubürsten. Doch wo Menschen sind, herrschen Emotionen. Dass Unternehmen sich selbst, etwa in Form einer tiefgehenden und fundierten Brand Identity, als emotionaler Teil der Beziehungen zu ihrer Klientel verstehen, ist ein Schritt, der den gesellschaftlichen Wandel sichert und mitgestaltet.

PERFORMANCE ONE HEART – BERATUNGS- UND UMSETZUNGSAGENTUR FÜR DIE EMOTIONAL ECONOMY.

Ein Partner wie PERFORMANCE ONE HEART kann Unternehmen dabei helfen, neue emotionale Anknüpfpunkte zu schaffen. Echte Verbindungen zu schaffen, erfordert eine klare Ausrichtung auf die emotionalen Werte einer Gesellschaft, die sich besonders in diesen Punkten mehr und mehr im Wandel befindet. Jede globale Krisensituation scheint ihren beschleunigenden Einfluss auf die Ausgestaltung einer Emotionsgesellschaft zu haben. Tools wie Storytelling oder die bewusste Ausgestaltung der Customer Journey zeigen der Zielpersona zwar einerseits, dass ein Unternehmen zeitgemäß handelt. Doch auf der tieferen Ebene baut sich hier ein Vertrauen auf, das den Kundenbeziehungen einer längst vergessenen Ära ähnelt.

Denn auch, wenn die Großelterngeneration in beruflichen oder gesellschaftlichen Fragen dem Leistungsschema ausgeliefert sein mag – beim kleinen Laden um die Ecke wusste man, was Frau Mustermann wirklich will. Und das tat beiden Seiten gut.

Es ist also vielleicht gar keine Transformation von der wir sprechen, wenn wir den Paradigmenwechsel zu einer emotionaleren Welt beleuchten. Möglicherweise ist es der Ausdruck eines Zustands des immer bewussteren Verlernens von Dingen, die uns nicht mehr dienen, was in der Zukunft die Verbindung aus emotionaler Offenheit und technischer Versiertheit verlangt. Mit dem Fokus auf dem Menschen und seiner tatsächlichen Realität ist diese Symbiose für jeden Akteur am Markt möglich. Auch für Sie.

 

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